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AKTUALITÄTEN AUS RECHTSPRECHUNG UND GESETZGEBUNG

 

Hinterlegung des Mietzinses

Entstehen an der Sache Mängel, die der Mieter weder zu verantwor­ten noch auf eigene Kosten zu beseitigen hat, oder wird der Mieter im vertragsgemässen Gebrauch der Sache gestört, so kann der Mieter von Wohn- oder Geschäftsräumen den Mietzins gemäss Art. 259a Abs. 2 OR hinterlegen. Das Verfahren ist in Art. 259g ff. OR geregelt. Die Mietzinshinterlegung setzt unter anderem voraus, dass der Mieter vom Vermieter unter Fristansetzung die Beseitigung eines Mangels schriftlich verlangt, und dass er ihm androht, bei unbenütz­tem Ablauf der Frist Mietzinse die künftig fällig werden bei einer vom Kanton bezeichneten Stelle zu hinterlegen. Ferner muss er die Hinter­le­gung dem Vermieter schriftlich ankündigen.

Nur künftige Mietzinsen können mit der Wirkung einer Bezahlung gegenüber dem Vermieter hinterlegt werden. Wer Mietzinsen hinterlegt, die bereits zu zahlen (fällig) gewesen wären, riskiert eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs (BGer 4A_571/2020 vom 23. März 2021).


Ausschreibung einer Landesverweisung im Schengener Informationssystem

Kriterien dafür, ob eine Landesverweisung eines verurteilten Straftäters im Schengener Informationssystem (SIS) ausgeschrieben werden kann oder nicht, sind in erster Linie Art und Häufigkeit der Straftaten, die konkreten Tatumstände sowie das übrige Verhalten der Person (vgl. BGer 6B_1178/2019, Urteil vom 10. März 2021).

Eine Ausschreibung im SIS setzt gemäss der SIS-II-Verordnung (EG-Verordnung Nr. 1987/2006) unter anderem eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf Grundlage einer individuellen Bewertung voraus; das ist insbesondere der Fall, wenn die betroffene Person in einem Mitgliedstaat wegen einer Straftat verurteilt worden ist, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist.

Für die Annahme einer "Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Das Strafmass ist dabei nicht entscheidend. Es setzt bei verurteilten Straftätern auch nicht zwingend ein schweres oder besonders schweres Delikt voraus. Vielmehr genügt es, wenn die betroffene Person wegen einer oder mehrerer Straftaten verurteilt wurde, welche die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährden und die einzeln oder gemeinsam betrachtet von einer gewissen Schwere sind. Ausgenommen sind Bagatelldelikte. Die weitereVoraussetzung ("Verurteilung zu einer Straftat, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist") ist sodann erfüllt, wenn für die begangene Straftat im Gesetz eine Freiheitsstrafe im Höchstmass von einem Jahr oder mehr vorgesehen ist.

 

 

Unterhalt für mündiges Kind in Ausbildung geht dem für (Ex-) Ehegatten nicht vor

Während die Unterhaltspflicht gegenüber dem minderjährigen Kind geht den anderen familienrechtlichen Unterhaltspflichten vorgeht (Art. 276a Abs. 1 ZGB), tritt gemäss Bundesgericht der Unterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes in Ausbildung hinter denjenigen eines unterhaltsberechtigten (Ex-) Ehegatten zurück. Trotz dem neuen Unterhaltsrecht von 2017 bleibt die bisherige Rechtsprechung in diesem Bereich unverändert (Urteil 5A_457/2018).


Unzulässiger Handel mit Mantelgesellschaften

Der Bund will den Mantelhandel entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BBl 2019 5205 m.H.a. BGer 4C.19/2001 vom 25. Mai 2001; BGE 123 III 473, E. 5c); 80 I 60 E. 2a); 80 I 30 E. 1; 67 I 36 f.; 65 I 139 E. 3; 64 II 361, E. 1; 55 I 134 ff.), wonach der Handel mit Mantelgesellschaften ein nichtiges Rechtsgeschäft darstellt, nunmehr gesetzlich verbieten. Eine Mantelgesellschaft ist eine faktisch liquidierte Gesellschaft ohne jegliche geschäftliche Aktivitäten, die nur noch aus dem Aktienmantel besteht.

Mit dem Verbot des Mantelhandels soll die «organisierte Firmenbestattung» bekämpft werden. Typischer modus operandi dabei ist, dass der «Firmenbestatter» sich im Handelsregister als Organ der Gesellschaft eingetragen lässt, anschliessend den Sitz der Gesellschaft in einen anderen Kanton verlegt und den Zweck und den Firmennamen ändert.

Bereits heute weisen die meisten Handelsregisterämter Anmeldungen zur Eintragung eines Handels mit einem Gesellschaftsmantel, sprich einer wirtschaftlich vollständig liquidierten, aber juristisch nicht aufgelösten Kapitalgesellschaft, zurück. Nichtsdestotrotz wird in der Praxis der Handel mit Mantelgesellschaften ungesehen weitergetrieben, weil die beteiligten Akteure damit die Kosten für Liquidation, Löschung und Neugründung sowie Steuern und Zeit zu sparen erhoffen. Die Kodifizierung im OR soll dies explizit unterbinden.

 

 
Das Bezirksgericht Zürich anerkennt ein malaysisches Scharia-Urteil und ergänzt es mit Unterhaltszahlungen

Eine mit einem Schweizer verheiratete Frau aus Malaysia lebte mit diesem als Familie in ihrem Heimatstaat. 2010 reichten sie die Scheidung bei einem Scharia-Gericht ein.

Die nunmehr in der Schweiz lebende Mutter, wollte das nach islamischem Recht gefällte Sharia-Urteil in der Schweiz für Unterhaltszahlungen vom Kindsvater ergänzen lassen.

Der Exmann wehrte sich dagegen mit der Begründung, dass das islamische Recht nach Koran keine monatlichen Unterhaltsbeiträge vorsehe. Um das ausländische Scheidungsurteil ergänzen zu können, musste es zunächst anerkannt werden. Das Bezirksgericht anerkannte die Scharia-Scheidung mit der Begründung, dass beide Parteien ursprünglich mit dem Entscheid einverstanden gewesen seien. Es ergänzte aber das Urteil und verpflichtete den Mann inskünftig monaltich Fr. 4'000.- Unterhalt zu leisten.


Das Kantonsgericht griff korrigierend ein und das Bundesgericht bestätigt, dass keine Notstandssituation für Klimaaktivisten bestand

Die zwölf Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die im November 2018 eine Bankfiliale in Lausanne besetzt hatten, wurden dafür wegen Hausfriedensbruchs verurteilt. Das Hauptargument, wonach es sich bei der Aktion um einen "rechtfertigenden Notstand" (Artikel 17 Strafgesetzbuch, StGB) handeln würde, wurde höchstrichterlich verneint. Das Bundesgericht wies die Beschwerden gegen das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Waadt in diesem Punkt ab. Recht gegeben hat es zehn der zwölf Personen in einem Nebenpunkt. Der Schuldpunkt der Hinderung einer Amtshandlung (Artikel 286 StGB), weil sie der Aufforderung der Polizei zum Verlassen der Bank nicht nachgekommen waren, wurde aus prozessualen Gründen aufgehoben.
Hier die Medienmitteilung des Bundesgerichts

 

So lauten die Arguente der Bundesrichter: Die "unmittelbare" Gefahr muss sich kurzfristig, zumindest innerhalb von Stunden nach der Tat realisieren. Im Moment der Aktion bestand keine aktuelle und unmittelbare Gefahr (Klimaerwärmung) im Sinne der strafrechtlichen Notstandsregelung. Die Aktion bezweckte die Verteidigung kollektiver Interessen, namentlich der Umwelt, der Gesundheit oder des Wohlergehens der Bevölkerung. Der Rechtfertigungsgrund des Notstandes dient aber zum Schutze eines konkreten individuellen Rechtsguts. Auch der Vorwand, wonach die Aktivisten sich in einer irrigen Vorstellung über das Bestehen einer unmittelbaren Gefahr (sog. "Putativnotstand", Artikel 13 StGB) befunden hätten, wurde verneint. Die Verurteilten hatten nicht behauptet, zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr gehandelt zu haben, welche etwa ihr Leben oder ihre Gesundheit bedroht haben könnte. Vielmehr war die Aktion vom Willen geleitet, einen politischen Wandel herbeizuführen oder das Bewusstsein für die Problematik des Klimawandels zu wecken. Auch können sich die Verurteilten nicht auf den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der "Wahrung berechtigter Interessen" berufen, weil ihr Handeln nicht das einzige Verteidigungsmittel darstellt. Zur Erreichung ihrer Ziele hätten unzählige legale Methoden offengestanden, namentlich bewilligte Demonstrationen. Schliesslich liegen auch keine Umstände vor, um von einer Bestrafung wegen geringfügiger Schuld oder Tatfolgen abzusehen (Artikel 52 StGB), weil die Aktion mehr als eine Stunde gedauert hat und damit die Auswirkungen der Tat im Vergleich zu einem Hausfriedensbruch im Allgemeinen nicht als unbedeutend bewertet werden. Die Schuldsprüche seien auch mit Blick auf die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.

 

"Rechtfertigender Notstand" verhilft Klimaaktivisten zu fragwürdigen Freispruch

 Der Einzelrichter am Bezirkskgericht Renens hat zwölf Umweltaktivisten, die aus Protest in einer Filiale der Credit Suisse Tennis gespielt haben, gestützt auf den Tatbestand des rechtfertigenden Notstands in Art. 17 StGB freigesprochen. Die Klimaktivisten widersetzten sich der Aufforderung des Filialleiters, das Gebäude unverzüglich zu verlassen, und leisteten auch der Polizei bei der Räumung Widerstand. Damit erfüllten sie unter anderem den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs als auch der Hinderung einer Amtshandlung.

Nach Auffassung des Richters handelten die Klimaktivisten rechtmässig, weil ihr Vorgehen notwendig und angemessen gewesen sei, um "ein eigenes oder das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, wenn dadurch höherwertige Interessen gewahrt werden". Dieses Urteil dürfte kaum Bestand vor der Rechtsmittelinstanz haben. Die Anwälte arbeiteten im Übrigen allesamt untentgeltlich. Wir sind gespannt, wie es weiter geht.


Anwaltsdisziplinarverfahren - Busse für überhöhtes Honorar

Das Bundesgericht hat die Massregelung und Bestrafung eines Anwalts mit Busse in der Höhe von Fr. 10'000.- durch die Anwaltskammer des Kantons St. Gallen geschützt. Der St. Galler Rechtsanwalt hatte im Zusammenhang mit einer erbrechtlichen Streitigkeit eine krass überhöhte Honorarforderung von Fr. 420'000.- seiner Mandantin gestellt. Der Anwalt focht den Entscheid erfolglos durch alle Instanzen an. Das Bundesgericht bestätigt mit Urteil 2C_205/2019 vom 26. November 2019 die Auffassungen der Vorinstanzen, wonach der Anwalt eine überhöhte Honorarechnung einforderte. Der sich daraus ergebende Stundenansatz von Fr. 910.-- übersteige den in St. Gallen üblichen Stundenansatz von Fr. 300.-- bis Fr. 400.-- zwei- bis dreimal und müsse deshalb, nicht zuletzt auch angesichts der keine schwierigen rechtlichen oder sachlichen Fragen aufwerfenden Angelegenheit als klar übermässig eingestuft werden.


Schutz der Freiheit der Automobilisten vor totalitärer Überwachung

Das Bundesgericht hat gleich in zwei Urteile den verfassungsrechtlichen Schutz der Persönlichkeit sowie der Privatsphäre höher gewichtet als die abstrakte Sicherheit der Gesellschaft sowie die Überführung durch selbsternannte Sheriffs als Ordnungshüter.

Zum einen hat es mit Urteil vom 26. September 2019 (6B_1188/2018) die Beschwerde einer Fahrzeuglenkerin gutgeheissen und ihre Verurteilung aufgrund von Dashcam-Aufzeichnungen aufgehoben. Die Fahrzeuglenkerin wurde von den Vorinstanzen gestützt auf die Dashcam-Aufzeichnungen eines anderen Verkehrsteilnehmers der mehrfachen Verletzung der Verkehrsregeln schuldig gesprochen. Das Bundesgericht griff korrigierend ein.

Weil es sich bei den fraglichen Verkehrsdelikten nicht um schwere Straftaten handelte, fällt die Verwertung der in Missachtung des Datenschutzgesetzes (DSG) und damit rechtswidrig erlangten Aufnahmen als Beweismittel ausser Betracht. (Die Erstellung der Aufnahmen aus einem Fahrzeug heraus stellt eine heimliche Datenverarbeitung im Sinne von Artikel 4 Absatz 4 DSG dar, die eine Persönlichkeitsverletzung darstellt.) Die Interessenabwägung fällt gegen eine Verwertung der Aufnahmen als Beweis aus.

Zum anderen befand das Bundesgericht mit Urteil vom 7. Oktober 2019 (6B_908/2018), dass im Thurgau keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die automatische Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV) besteht. Es hiess die Beschwerde des Autolenkers, der von den Vorinstanzen unter anderem wegen mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung zu einer Geldstrafe und einer Busse verurteilt wurde, gut und hob das vorinstanzliche Urteil auf.

Bei der AFV werden mittels Kamera das Kontrollschild und damit die Identität des Halters in Erfahrung gebracht sowie Zeitpunkt, Standort, Fahrtrichtung und Fahrzeuginsassen erfasst. Anschliessend erfolgt ein automatischer Datenabgleich. Damit einher geht ein Gefühl der Überwachung, das die Selbstbestimmung wesentlich hemmen kann ("chilling effect"), was einen schweren Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäss Artikel 13 Absatz 2 der Bundesverfassung bedeutet. Schwere Grundrechtseingriffe bedürfen einer klaren und ausdrücklichen Grundlage in einem formellen Gesetz. Eine Generalklausel in einem Polizeigesetz ist nicht ausreichend, weshalb die Aufzeichnungen der AFV im konkreten Fall rechtswidrig erhoben wurden und nicht verwertbar waren.


Schwellenwert der Drogenmenge für schwere Betäubungsmitteldelikte

Mit Urteil vom 29. Juli 2019 (BGer 6B_504/2019) hat das Bundesgericht seine bisherige Praxis bestätigt. Die festgelegten Mindestmengen der verschiedenen Drogen für die Annahme eines schweren Betäubungsmitteldelikts mit Gefängnisstrafe nicht unter einem Jahr gelten weiterhin:

  • Heroin: 12g
  • Kokain: 18g
  • LSD: 200 Trips
  • Amphetamin: 36g
  • Crystal Meth: 12g (Methamphetamin-Hydrochlorid)

Massgeblich ist die Menge an reiner Droge. Kann diese mangels Laboranalyse nicht exakt eruiert werden, wird auf den durchschnittlichen Reinheitsgrad auf dem Markt abgestellt. Sind die vorgenannten Schwellenwerte erreicht, dann weiss oder zumindest muss der Täter annehmen, dass er die Gesundheit vieler Menschen unmittelbar oder mittelbar in Gefahr bringt, weshalb er gestützt Auf Art. 19 Abs. 2 lit. a Betäubungsmittelgesetz (BetmG, SR 812.121) mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, womit eine Geldstrafe verbunden werden kann, bestraft wird. Im konkret zu beurteilenden Fall ging es unter anderem um Drogendelikte im Zusammenhang mit "Crystal Meth" (Methamphetamin).

 


Strafbares Eindringen in fremdes E-Mail-Konto

Das Bundesgericht bestätigt mit Urteil vom 17.05.2019 (BGE 6B_1207/2018) die Bestrafung einer Frau, die ohne Zustimmung ihres von ihr getrennt lebenden Ehemannes in sein E-Mail-Konto eingedrungen ist. Die Frau hatte vergeblich vorgebracht, dass sie das Gmail-Konto ihres Ehemanns nicht gehackt hatte, weil sie das Passwort zufällig gefunden hatte.

Das Bezirksgericht Bremgarten hatte die Frau wegen mehrfachen unbefugten Eindringens in ein Datenverarbeitungssystem (Hackerangriff) zu einer bedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu CHF 30.– sowie zu einer Busse von CHF 300.– verurteilt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Obergericht Aargau wie auch vom Bundesgericht unter Kosten- und Entschädigungsfolgen abgewiesen.

Indem sie sich mit dem zufällig aufgefundenen Passwort in den Account des von ihr getrennt lebenden Ehemannes einloggte, wurde sie gestützt auf Art 143bis Abs. 1 StGB – Unbefugtes Eindringen in ein Datenverarbeitungssystem – bestraft. Das Gmail Konto ist ein besonders gesichertes Datenverarbeitungssystem im Sinne dieser Strafnorm. Dabei ist grundsätzlich nicht von Belang, auf welche Weise die elektronische Sicherung (Passwortschutz) ausgeschaltet wird. Die Frau drang ohne die hierfür notwendige Berechtigung in ein fremdes E-Mailkonto ein, indem sie die ihr nicht zustehende E-Mailadresse angewählt und das zugehörige Passwort über die Tastatur in den Computer eingab, über das zu verfügen sie nicht berechtigt war.

Als Angriff genügt, gleichsam analog zum Tatbestand des Hausfriedensbruchs gemäss Art. 186 StGB (BGE 130 III 28 E. 4.2; Botschaft 1991, 1011), jede Handlung, die geeignet ist, die jeweilige Sicherung auszuschalten, ohne dass ein besonderer zeitlicher oder technischer Aufwand erforderlich wäre (E. 2.2.2).


Kein Schadenersatz trotz Kündigung einer Mietwohnung unter falschem Vorwand

Streitgegenstand war ein Mietverhältnis aus dem Jahr 1996, welches der Vermieter mit amtlich genehmigten Formular am 18. Januar 2013 kündigte. Der Vermieter, vertreten durch den HEV, machte Eigenbedarf an einer Wohnung als Kündigungsgrund geltend. Die Mieterin focht die Kündigung an. Sie machte geltend, der Eigenbedarf sei bloss ein Vorwand, um die Wohnung teurer weiterzuvermieten. Das Mietgericht Zürich verneinte mit Urteil vom 23. Oktober 2014 die Treuwidrigkeit der Kündigung und erstreckte gleichzeitig das Mietverhältnis definitiv bis zum 30. September 2014.

Der Eigenbedarf erwies sich nachträglich als vorgeschobener Kündigungsgrund. 2015 fand die Mieterin die streitgegenständliche Wohnung zu einem Mietzins, der um rund Fr. 650.-- pro Monat höher liegen sollte als der zuletzt von ihr bezahlte Mietzins, auf homegate.ch zur Miete ausgeschrieben.

In der Folge klagte die ehemalige Mieterin gegen den vormaligen Vermieter auf Schadenersatz für den Umzug und die teurere Wohnung. Mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 16. Januar 2017 wurde der Vermieter zur Zahlung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 11'109 zzgl. Zins zu 5% verurteilt. Die vom Vermieter dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 26. September 2017 abgewiesen.

 

Das Bundesgericht hat die dagegen geführte Beschwerde des Zürcher Vermieters gutgeheissen (Urteil 4A_563/2017). Die Mehrheit der Bundesrichter berief sich auf das Prozessrecht, wonach bereits mit Urteil des Mietgerichts Zürich vom Oktober 2014 rechtskräftig und damit verbindlich entschieden wurde, dass die Kündigung nicht rechtsmissbräuchlich sei. Die Mieterin hätte eine Revision des alten Urteils verlangen müssen, obschon kein ausreichnder Revisionsgrund vorliegen würde, denn der Sohn wurde im Mai 2018 (rechtskräftig) vom Vorwurf der falschen Zeugenaussage freigesprochen.


Sponsoring: Tierpatenschaften Natur- und Tierpark Goldau

Zu unserem vielfältigen Repertoire gehört auch das Tierrecht.

Wir prozessieren nicht nur im Namen von Tierhaltern gegen Verfügungen des Kantonstierarztes zur Wahrung des Tierwohls, sondern leisten auch einen Beitrag zur Tierwelt, indem wir zwei Tierpatenschaften im Natur- und Tierpark Goldau für einen Turmfalken und einen Grünfinken übernehmen.


Beitrag im Radio Central zum Thema Arbeitspause

Gemäss Art. 15 Arbeitsgesetz (ArG, SR 822.11) ist die Arbeit ab einer täglichen Arbeitszeit von mehr als fünfeinhalb Stunden zwingend durch eine Pause von mindestens eine Viertelstunde (eine halbe Stunde bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als sieben Stunden und eine Stunde bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als neun Stundenbei) zu unterbrechen. Die Pause gilt übrigens von Gesetzes wegen nicht als Arbeitszeit.


BETRUUNGSUNTERHALT
NEU "SCHULSTUFEN-MODELL" ALS RICHTLINIE FÜR ERWERBSTÄTIGKEIT

5A_384/2018 Urteil vom 21. September 2018

Anlässlich einer Berufung an das Bundesgericht hat dieses im Rahmen eines Scheidungsverfahrens die bisher in der Praxis herrschende 10/16-Regel aufgegeben und sich stattdessen für das "Schulstufen-Modell" als neu allgemeingültige Richtlinie ausgesprochen. Das Schulstufen-Modell entspricht eher der heutigen gesellschaftlichen Realität.

Der unterhaltsberechtigte Ehegatte soll seine Leistungsfähigkeit grundsätzlich ab Einschulung des jüngsten Kindes möglichst ausschöpfen, weil er von der Betreuung entlastet wird und während dieser Zeit arbeiten gehen kann. Demnach soll der hauptbetreuende Elternteil ab der obligatorischen Einschulung des jüngsten Kindes grundsätzlich zu 50 % einer Erwerbsarbeit nachgehen, zu 80 % ab seinem Eintritt in die Sekundarstufe und zu 100 % ab vollendetem 16. Lebensjahr. Dies gilt künftig auch beim ehelichen oder nachehelichen Unterhalt zwischen verheirateten oder geschiedenen Eltern. Selbstverständlich muss gegebenenfalls eine angemessene Übergangszeit für die Stellensuche zugesprochen werden. Ferner kann das Gericht im Einzelfall davon abweichen, um unbillige Entscheide zu verhindern.

Das Bundesgericht erinnert daran, dass der Gesetzgeber die Eigen- und Fremdbetreuung als gleichwertige Betreuungsmodelle betrachtet. Grundsätzlich entscheiden die Eltern darüber. Entscheidend ist das Kindeswohl. Bei fehlender Einigung der Eltern im Trennungs- oder Scheidungsfall soll in einer ersten Phase übergangsweise das von diesen vor der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes praktizierte Betreuungsmodell fortgeführt werden, weil stabile Verhältnisse dem Kindeswohl dienlich sind, aber für die weitere Zeit, gerade wenn keine elterliche Vereinbarung über das Betreuungsmodell besteht, das Schulstufenmodell angewendet werden.

Darüber hinaus, namentlich aber auch für Kinder im Vorschulalter, muss der Richter prüfen, ob im konkreten Einzelfall vor- oder ausserschulische Betreuungsangebote bestehen, welche angemessen sind und von der persönlichen Betreuung entlasten können. Entsprechende Angebote sind insbesondere dann näher zu prüfen, wenn die finanziellen Mittel knapp sind und eine Ausdehnung der Erwerbsarbeit ökonomisch sinnvoll erscheint.


BETREUUNGSUNTERHALT FÜR KINDER
BEMESSUNG NACH DER "LEBENSHALTUNGSKOSTEN-METHODE"
5A_454/2017 Urteil vom 17. Mai 2018

Das Bundesgericht hatte in einem Eheschutzverfahren mit Unterdeckungskonstellation zu entscheiden, ob die vom Kantonsgericht Genf angewandte Berechnungsmethode für die Unterhaltsbemessung zulässig sei. Das Bundesgericht hat den Fall öffentlich beraten und sich unmissverständlich für die "Lebenskosten-Methode" ausgesprochen. Der Betreuungsunterhalt umfasst demnach grundsätzlich die Lebenshaltungskosten der betreuenden Person, soweit diese wegen der Kinderbetreuung nicht selber dafür aufkommen kann.

Zur Beurteilung stand das neue Kindesunterhaltsrecht von 2017, wonach gemäss Art. 276  und 285 Zivilgesetzbuch (ZGB) der Unterhalt auch der Gewährleistung der Betreuung der Kinder dient. Der Gesetzgeber äusserte sich nicht zur Art und Weise der Berechnung des Betreuungsunterhalts und hielt lediglich fest, dass jedes Kind grundsätzlich Anspruch auf die "bestmögliche Betreuung" habe.

Gemäss Bundesgericht ist die Anwendung des Lebenskostenansatzes nicht willkürlich. Die Richter brachten klar zum Ausdruck, dass sie nur die Lebenskostenmethode zur Unterhaltsbemessung beim Betreuungsunterhalt zulassen möchten. Mit diesem Grundsatzentscheid will das höchste Gericht auf eine schweizweit einheitliche Berechnung des Betreuungsunterhalts hinwirken, was zu begrüssen ist.

Implizit und teils sogar explizit verworfen wurden die von verschiedenen kantonalen Gerichten angewanten Praxen, wie die pauschale Abgeltung, das konkrete Betreuungsquotenmodell und die Prozentregel.

Wir sind gespannt auf die ausführliche Urteilsbegründung und die Weiterentwiklung der Rechtssprechung zum Kindesunterhalt.


UNRECHTMÄSSIGE "NOT"-HAUSDURCHSUCHUNG
ERFOLGREICHE BESCHWERDE VOR BUNDESGERICHT

1B_519/2017 Urteil vom 27. März 2018

Wohnungen dürfen (auch ohne Einwilligung der berechtigten Person) durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass in den betreffenden Räumen Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände oder Vermögenswerte vorhanden sind (Art. 244 Abs. 2 StPO). Hausdurchsuchungen im Vorverfahren werden in einem schriftlichen Befehl der Staatsanwaltschaft angeordnet. In dringenden Fällen können sie mündlich angeordnet werden, sind aber nachträglich schriftlich zu bestätigen (Art. 241 Abs. 1 i.V.m. Art. 198 Abs. 1 StPO). Ist "Gefahr im Verzug", so kann die Polizei im Vorverfahren ohne staatsanwaltlichen Befehl Durchsuchungen vornehmen; sie informiert darüber unverzüglich die Staatsanwaltschaft (Art. 241 Abs. 3 i.V.m. Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO; s.a. Art. 263 Abs. 3 StPO; BGE 143 IV 270 E. 7.5 S. 283 mit Hinweisen; zur amtl. Publ. bestimmtes Urteil 1B_394/2017, nicht amtl. publ. E. 3.2).

Die polizeiliche „Not“-Hausdurchsuchung war im vorliegenden Fall gesetzeswidrig: weder die Vorinstanz noch die Staatsanwaltschaft legen dar, inwiefern hier ein Fall von „Gefahr in Verzug“ (Art. 241 Abs. 3 i.V.m. Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO) vorgelegen hätte, der ausnahmsweise eine sofortige polizeiliche Hausdurchsuchung sachlich erfordert hätte.

Im Lichte der strafrechtlich nicht gravierenden Vorwürfe haben Polizei und Staatsanwaltschaft auffallend massive Zwangsmassnahmen angewendet, die empfindlich in die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und in die Privatsphäre des Beschwerdeführers (Art. 13 Abs. 1 BV) eingreifen. Dazu gehören die Verhaftung am Arbeitsplatz, die polizeiliche „Not“-Hausdurchsuchung der Privatwohnung, umfangreiche Sicherstellungen, insbesondere des privaten Mobiltelefons inklusive gespeicherte Privatkommunikation sowie eines Laptops mit privaten und geschäftlichen Dokumenten, die Beschlagnahme von Medikamenten sowie das Entsiegelungsgesuch für sämtliche sichergestellten elektronischen Geräte und Aufzeichnungen.

 

ALTERNIERENDE OBHUT

Kinder sollen auch nach einer Trennung oder Scheidung eine regelmässige Beziehung zu beiden Elternteilen aufrechterhalten.

Die alternierende Obhut ist allerdings nicht als Regelfall im Gesetz verankert, sondern nur im Einzelfall anzuordnen, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Gerade der häufige Wechsel des Aufenthaltsorts kann für das Kind eine grosse Belastung sein.

Kriterien für die alternierende Obhut sind in den beiden Bundesgerichtsentscheiden: Urteile 5A-904/2015 und 5A_991/2015 vom 29.09.2016 zu entnehmen.

Entscheidender Faktor ist immer das Wohl des Kindes.

Zunächst müssen beide Eltern erziehungsfähig sein. Ferner erfordert die alternierende Obhut gezwungenermassen organisatorische Massnahmen, sprich die Eltern müssen fähig und bereit sein, in den Kinderbelangen zusammen zu kommunizieren und zu kooperieren. Des Weiteren darf die Distanz zwischen den Wohnungen der Eltern nicht zu gross sein. Wichtig ist auch die Stabilität, die eine Weiterführung des bisherigen Betreuungsmodells für das Kind mit sich bringt. Zu berücksichtigen sind auch die Möglichkeit der Eltern, das Kind persönlich zu betreuen, das Alter des Kindes, seine Beziehungen zu Geschwistern und seine Einbettung in ein soziales Umfeld. Kinderwünsche hinsichtlich der Betreuungsanteile der Eltern sind zu beachten, wenngleich diese bezüglich der Frage der Betreuungsregelung noch nicht urteilsfähig sind.


MIETZINSSENKUNG AUFGRUND DES GESUNKENEN REFERENZZINSSATZES

Der aktuelle Referenzzinssatz - als Basis für die Berechnung von Mietzinsanpassungen- beträgt neu seit Juni 2017 lediglich 1.5 %, was ein «Allzeit-Rekordtief» darstellt.

Viele Mieter dürften daher Anspruch auf eine Mietzinsreduktion haben!

Einleitungsverfahren:
Gestützt auf Art. 270a OR können die Mieter aufgrund dieser Senkung des Referenzzinssatzes schriftlich vom Vermieter die Herabsetzung des Mietzinses auf den nächstmöglichen Kündigungstermin verlangen. Die Mieter müssen ihr Begehren um Herabsetzung beziffern und begründen. Der Vermieter hat innert 30 Tagen zu antworten.

Herabsetzungsverfahren:
Entspricht der Vermieter dem Begehren nicht oder nur teilweise oder antwortet er nicht fristgemäss, so kann der Mieter innert 30 Tagen (gerechnet ab Erhalt der Stellungnahme oder mangels Reaktion des Vermieters ab dem letzten Tag der dem Vermieter gesetzten 30-tägigen Frist) die Schlichtungsbehörde anrufen (Art. 270a Abs. 2 OR). Wenn der Mieter nicht rechtzeitig an die Schlichtungsbehörde gelangt, ist sein Herabsetzungsbegehren verwirkt. Er kann aber ein neues Gesuch um Herabsetzung des Mietzinses an den Vermieter richten, allerdings dann erst auf einen späteren Termin.

Keine Anpassung aufgrund einer Änderung des Referenzzinssatzes ist bei Ferien- und luxuriösen Wohnungen, bei indexierten (OR 269b) und gestaffelten (OR 269c) Mietzinsen sowie bei befristeten Mietverträgen ohne Kündigungsmöglichkeit möglich.


RASER IM STRASSENVERKEHR

Laut Medienmitteilung des Bundesgerichts ändert dieses seine Praxis zum Rasertatbestand, wonach nicht jede Überschreitung des Tempolimits um das in der fraglichen Bestimmung festgelegte Mass den Tatbestand zwingend erfüllt (BGE 6B_165/2015 vom 01.06.2016).


RECHTSLAGE

Seit 2013 (Via-sicura-Gesetzesänderungen) gelten die gesetzlichen Bestimmungen zum «Rasertatbestand» im Strassenverkehrsgesetz (SVG, SR 741.01). Die Raser-Strafnorm erfüllt u.a., wer die signalisierte Höchstgeschwindigkeit in besonders krasser Weise missachtet.

Gemäss Art. 90 SVG wird mit mindestens einem bis zu vier Jahren Gefängnis bestraft, wer in der 30er Zone mit mehr als 70 km/h [20er mehr als 60 km/h], innerorts (50er Bereich) mit mehr als 100 km/h [40er mehr als 90 km/h], ausserorts (80er) mit mehr als 140 km/h [60er mehr als 120 km/h] und auf Autostrassen und Autobahnen (>80) mindestens 80 km/h zu schnell unterwegs ist. Des Weiteren beträgt die Dauer des Führerausweisentzuges in diesen Fällen mindestens zwei Jahre und gestützt auf Art. 90a SVG kann das Auto quasi als Tatwaffe gegebenenfalls sogar beschlagnahmt und verwertet werden.


PROBLEMATIK

Für gewöhnlich – wenn das Gesetz keine Ausnahme macht – braucht es für eine Verurteilung nebst der Erfüllung des objektiven Tatbestandes auch einen Vorsatz (subjektiver Tatbestand). Der Täter muss die Tat mit Wissen und Willen ausführt haben, damit er für sein Verhalten bestraft werden kann (vgl. Art. 12 StGB).

Die Frage, ob die Erfüllung des objektiven Tatbestandes – bei krassem Geschwindigkeitsexzess resp. Überschreiten der vorgenannten Schwellenwerten – zugleich die unwiderlegbare Vermutung des Tatvorsatzes begründet, wurde nun vom Bundesgericht verneint. Auch der Rasertatbestand setzt entsprechend dem strafrechtlichen Grundsatz «nulla poena sine culpa» (keine Strafe ohne Schuld) ein tatsächliches und nachgewiesenes Verschulden voraus.


SACHVERHALT

Ein Autolenker aus GE hatte die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 54 km/h überschritten. Er wurde dafür in Anwendung von Art.90 Abs. 3 und 4 SVG mit einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr bestraft. Vor Bundesgericht argumentierte er, bei der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht vorsätzlich gehandelt zu haben, weil er die die signalisierte Höchstgeschwindigkeit nicht gesehen habe.

Der Beschwerdeführer drang mit seiner Argumentation, wonach er nicht vorsätzlich zu schnell gefahren sei, nicht durch, weshalb das Bundesgericht die Beschwerde abwies. Dieses nutzte aber die Gelegenheit, um seine frühere Rechtsprechung (BGE 1C_397/2014) zu korrigieren.

Auch in Zukunft werden Gerichte wohl davon ausgehen, dass ein Fahrzeuglenker zumindest eventualvorsätzlich handelt, wenn er die Höchstgeschwindigkeit derart überschreitet, dass der Rasertatbestand erfüllt ist. Wir sind gespannt wie sich die Gerichtspraxis zum Rasertatbestand weiter entwickeln wird.

 
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